ERFOLG ZU SCHULENDE

wir haben gewonnen

Ein Rückblick auf unsere Bewegung zur Freizeitpädagogik-Novelle

Von der Urabstimmung zum Erfolg
In der Mitarbeiter:innenzeitung vom März 2024 wurde über die Urabstimmung in der BiM berichtet: Wir stimmten über den bisherigen Verhandlungsstand ab, und 94% der Kolleg:innen in der BiM sind gegen die Reform. Das Ziel war damit klar: Auch die abgemilderte Form des Gesetzesvorhabens hin zur Freizeit- und Stützpädagogik muss verhindert werden. Wenn nötig mit Streiks. Unbestreitbar ist: Das Reformvorhaben ist inzwischen nicht mehr der Horror-Entwurf „Assistenzpädagogik“ wie zu Beginn. Streiks, Aktionen und zähe Verhandlungen haben erreicht, dass die Reform inzwischen auch gute Teile beinhalten würde. Aber leider nicht genug, um die Waage zu kippen – viele Aktionen folgten.


Am Montag, 17.6. war es dann so weit: Das, was wir als BiM Beschäftigte demokratisch entschieden hatten, haben wir durchgesetzt, durch eigene Kraft! Am Abend vor der Streik- und Aktionswoche erreichte die Gewerkschaft GPA ein Email mit dieser Passage:

„Auf Grund der Tatsache, dass die aktuelle Legislaturperiode in Kürze endet, sowie auf Grund des Umstandes, dass angesichts der geäußerten Kritik an der geplanten Reform weitere Gespräche zur Thematik erforderlich sind, wird das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung keinen Begutachtungsprozess mehr anstoßen und das Thema nicht weiter aktiv in Richtung eines Gesetzesbeschlusses noch in dieser Legislaturperiode vorantreiben.”
Bildungsministerium für  Bildung, Wissenschaft und Forschung – Generalsekretär Martin Netzer

Erfolg ohne Erfolgsgefühl?
Der Erfolg den wir erkämpft haben dürfte in die Geschichtsbücher des späten österreichischen Kapitalismus eingehen. In gewerkschaftlichen Lehrbüchern steht er schon. 
Auch wenn wir damit rechnen, dass Goliath wieder aufsteht: David hat ihn besiegt. Wir haben als Belegschaft durchgesetzt, dass unser demokratischer Wille gilt. Nicht der in Hinterzimmern ausgearbeitete Vorschlag einer Regierung, die nur unter Druck mit den Betroffenen spricht.
Trotzdem wird der Erfolg nur zögerlich gefeiert: Keine jubelnd beflaggten Schulen. Keine aufgeregten Anrufe. Keine eiligen Teambesprechungen. Im Streikkomitee fällt die Entscheidung gegen eine Party am nun nicht mehr notwendigen Streiktag. Ausgelaugtheit und Verunsicherung sind groß. Die Realisation des Erfolgs muss erst sickern. Die Gründe dafür sind im steinigen Weg dorthin zu suchen.

Erschöpfung und Belastung in der Belegschaft
Das gesamte Schuljahr 2023/24 war, wie auch das Jahr zuvor, von großer Erschöpfung geprägt. Schlechte Arbeitsbedingungen und ein Mangel an Personal führen in der BiM zu einer enormen Belastung und einer massiven Zahl an Erkrankungen. Durch mangelnde Unterstützung ist die Stimmung in vielen Teams schlecht, in den Schulen und in den Büros der Zentrale. Es gibt kaum gesundheitsfördernde Maßnahmen. Stattdessen wird der Mythos genährt, die Krankenstände lägen an „Mitarbeiter:innen die das System ausnutzen“. Damit werden Kolleg:innen weiter gegeneinander aufgehetzt.

Dies macht eigentlich einen betrieblichen Arbeitskampf gegen die Stadt Wien als Eigentümer:in der BiM notwendig: ein Kampf, der die Ursachen benennt und Verbesserungen erkämpft. Den Auftakt dafür haben wir in zwei Betriebsversammlungen in AK-Bildungszentrum und Zentrale im April/Mai 2023 gemacht und erste Forderungen formuliert. Dann kam die Nachricht von der Gesetzes-Novelle und überlagerte alles. Es entstand im Abwehrkampf gegen die existenzielle Bedrohung durch die Novelle ein Bündnis mit der Stadt Wien und der Geschäftsführung, das in dieser Situation wichtig und richtig war. Es hätte aber einen gleichzeitigen Kampf gegen sie, als für die Belastungsmisere Verantwortliche, absurd gemacht. Die Probleme und unsere Forderungen haben wir trotzdem beharrlich benannt. So führte gerade das gute Gesprächsklima zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung und der enorme Selbstbewusstseins- und Machtzuwachs der Belegschaft durch die Streiks zur Erfüllung einiger dieser Forderungen. Insgesamt aber nicht in einem Ausmaß, dass die Gesundheits- und Belastungssituation dadurch beseitigt wurde.

Momente von Hoffnung & Resignation im Arbeitskampf
Jeder Zusammenschluss von Kolleg:innen mit gemeinsamen Ziel, jeder demokratisch geführte Arbeitskampf, bringt Hoffnung selbst in scheinbar ausweglose Situationen. So war die Bedrohung und der Schock durch die Assistenzpädagogik-Pläne zwar ein Grund für zusätzliche Angst und NOCH MEHR Belastung durch Unsicherheit. Der gemeinsame Kampf dagegen und der Erfolg zum Schuljahresende machte aber klar: Gemeinsam sind wir stark! Gemeinsam können wir viel erreichen. Bei vielen war das Gefühl zum Ende des Schuljahrs 2023 trotz aller Unsicherheit ein erhebendes, starkes und gutes Gefühl. Die Sommerfeste 2023 waren unter den besten Partys, die die BiM je gesehen hat.

Mit dem Herbst setzte aber die Belastung schlagartig wieder ein. Nach der Hoffnung und dem Erfolg, nach dem Erleben der eigenen Stärke, war der Alltag zurück. Dazu kamen regelmäßige, eher deprimierende Nachrichten aus den Verhandlungen. Selbst der große Etappensieg im Herbst, dass die „Assistenzpädagogik“ vom Tisch ist, konnte die Angst nicht nehmen. Zu groß war die Sorge, dass sich hinter dieser Meldung nur ein Etikettenschwindel der Regierung versteckte. Begleitet wurden die Verhandlungen durch Streikbeschluss, Fotoaktion, Pädagog:innenprotest und KV-Verhandlungen von September bis November.

Im Aktions- und Streikkomitee wurde, auch im Gedanken an die hohe Belastung, eingeschätzt, dass es im Dezember und Jänner nicht zwingend notwendig war, Aktionen zu setzten. Vor dem einseitigen Abschluss der Verhandlungen im Februar wurde eine kleine Aktion beim Ministerium durchgeführt und nach der Urabstimmung gemeinsam mit Teamdelegierten unsere 19.000 Petitionsunterschriften beim Ministerium übergeben.


Es entstand dadurch aber eine mehrmonatige Phase, in der die große Masse der Kolleg:Innen (abgesehen von der Urabstimmung) nicht direkt aktiv in den Kampf eingebunden waren. Die letzte große Aktion war der Pädagog:innenprotesttag im Oktober. Dies führte bei manchen zum Gefühl „Wir haben“ oder „Ihr habt“ „zu wenig getan“. Andere wünschten sich, „dass es endlich vorbei ist“. Die Zuversicht und das Selbstvertrauen aus dem Sommer 2023 war also einer erschöpften Resignation in wachsenden Teilen der Belegschaft gewichen.

Streikorganisation ohne Streiks

Zwischen März und Juni wurden drei Mal Streiks geplant – und jedes Mal wieder durch das Aktions- und Streikkomitee abgesagt.

1. Verschobene Streikwoche nach Ostern
Zunächst waren für kurz nach Ostern Streiks angedacht. Der Plan: Nach dem Ende der Verhandlungen am 22. Februar sollte österreichweit in den Betrieben informiert werden. Dann sollte die Gewerkschaft GPA die Ablehnung des „Angebots der Regierung“ dem Ministerium kommunizieren. Für den Fall, dass die Regierung trotzdem an ihren Plänen festhält, hätten wir schon Streiks in Vorbereitung.
Es kam anders: Das Ministerium übermittelte ihr Angebot nicht. Eine in der GPA angedachte Betriebsrät:innenkonferenz wurde nicht einberufen, da es ja vom Ministerium nichts Schriftliches gab. Dem Ministerium wurde daher keine klare, beschlossene Ablehnung der Gewerkschaft übermittelt. Zwischen GPA und Ministerium passierte einfach nichts. In dieser Situation zu streiken hätte uns von unseren Kolleg:innen österreichweit isoliert und wäre öffentlich schwer zu vermitteln gewesen. Es wurde also beschlossen, Streiks auf einen „Tag X“ zu verschieben („Wir streiken, wenn die Regierung versucht, das Gesetz gegen unseren Willen zu beschließen“). Zudem wurde eingeschätzt, dass die Regierung sich durch ihre Verzögerung zeitlich in eine schlechtere Position bringen würde, da der Doppelwahlkampf näher rückte. Trotzdem wurde weiter Druck durch die Petitionsübergabe und eine Betriebsversammlung am internationalen Frauentag erzeugt.

Statt der Streikwoche wurde eine „Infoaktionswoche“ mit Postkarten-Protestaktion durchgeführt. Der Protest war ein starkes Warnsignal an die Regierung. In vielen Teams wurde er aber nur mit wenig Elan durchgeführt. Dies lag einerseits an mangelnder Energie, andererseits, weil eine symbolische Protestaktion nach den Streiks vielen zu „lasch“ vorkam.

2. Das Ultimatum im Mai
In Aktionskomitee und Betriebsrat wurde daran gearbeitet, österreichweit wieder Geschlossenheit herzustellen. Ein gemeinsames Schreiben der Betriebsratsgremien österreichweit wurde Anfang Mai an die Regierung übermittelt: Sie solle bis 13. Mai garantieren, keine Reform vor der Wahl mehr zu machen, sonst würden Streiks am Jahrestag, dem 22. Mai, durchgeführt. Die Antwort der Regierung überrumpelte uns kurz vor Mitternacht der ablaufenden Frist: Das Versprechen: „keine Nacht- und Nebelaktion“ und die Fortsetzung der Verhandlungen. Zusätzlich wurde der seit fast 3 Monaten ausständige schriftliche Stand der Verhandlungen nun endlich übermittelt.

Das Streikkomitee war im Dilemma: Einerseits war die Forderung nicht klar erfüllt. Andererseits war klar, dass Streiks gegen einen sich als gesprächsbereit und unverstanden inszenierenden Gegner schwer zu vermitteln sind. Und: Die Haltung der GPA-Führung war klar gegen Streiks in dieser Situation, auch die anderen Betriebsratsgremien in der Freizeitpädagogik entschieden sich in dieser Situation gegen Streiks. Zudem schätzte die GPA das Schreiben so ein, dass es defacto eine Aufgabe der Regierungspläne bis zur Wahl darstellte (was sich als falsch herausstellte).
Wir sagten also wieder Streiks ab – und diskutierten die Entscheidung in einer Teamdelegiertensitzung am für die Streiks vorgesehenen Tag. Die Entscheidung des Streikkomitees wurde von den Teamdelegierten mehrheitlich unterstützt.

3. Das Finale in der vorletzten Schulwoche

Im Juni dann der Schock: Das Ministerium kündigte in den wiederaufgenommenen Verhandlungen an, dass sie das Gesetz in Begutachtung bringen möchte. Manche hatten dies sowieso erwartet, bei vielen war die Verwirrung groß. Manche meinten „Die machen doch eh was sie wollen – also bringt eh alles nix“.
Unter den widrigen Bedingungen der letzten Schulwochen mussten wir also wieder in Streikvorbereitungen gehen. Glücklicherweise war ein Protesttag schon geplant: Die öffentliche Betriebsversammlung am Bildungsaktionstag. Es war ein defacto-Warnstreik, der der Regierung zeigte: Wir sind zwar erschöpft, aber wir haben als Belegschaft immer noch die Kraft gegen sie auf die Straße zu gehen. Trotz aller Zermürbungsversuche. Und obwohl die Geschäftsführung und die Stadt Wien durch Zugeständnisse ihren Widerstand – und ihre Unterstützung der Belegschaft – eingestellt hatten.

Die erfolgreiche Mobilisierung für diesen Tag ist eine der beeindruckendsten Leistungen in dem gesamten Kampf. In einer angeschlagenen Belegschaft, die zudem verwirrt durch Stundenabzugsandrohung der Geschäftsführung und der Stadt Wien war. Die Losung: „Die letzten Meter schaffen wir, auch wenn wir uns gegenseitig tragen“ wurde auf der Straße umgesetzt. Die hunderten Kolleg:innen, die an diesem Tag demonstrieren waren, haben uns alle getragen.

Auch die folgende Streikwoche wäre stark gewesen. Kundgebungen in mehreren Bezirken waren geplant, auch Unterstützer:innen hatten sich schon bei uns gemeldet. An einem Tag wäre in ganz Wien ein großer Teil der Schulen bestreikt worden. Die Regierung konnte sich dies im Endeffekt, drei Monate vor der Nationalratswahl nicht mehr leisten. Zusätzlich war auch Uneinigkeit innerhalb der und zwischen den Regierungsparteien entstanden und auch die Arbeitgeber, deren Betriebe durch die Reform Geschichte geworden wären, versuchten Druck auszuüben. Wie groß die Rolle dieser hinter verschlossenen Türen stattfindenden Auseinandersetzungen war, können wir aber nicht letztgültig einschätzen. Unser Protest und Arbeitskampf jedenfalls war erfolgreich: Sie gaben auf und garantierten nun schriftlich und unmissverständlich, dass sie die Reform vor der Wahl nicht mehr einbringen würden.

Was bleibt? Einerseits das Gefühl, durch die „unfertigen“ Streiks gar nicht so am gemeinsamen Erfolg beteiligt gewesen zu sein. Auf der anderen Seite die Erkenntnis: Unsere Entscheidungen waren richtig und der permanent wiederkehrende Druck hat zu unserem Sieg in diesem über einjährigen Arbeitskampf geführt. Gemeinsam sind wir stark. Und darauf können wir stolz sein!

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